Wärmewende: Praxispfad zwischen Netz und Gebäude
Warum parallele Förderung von Fernwärme (BEW) und Wärmepumpen (BEG) kein Widerspruch ist – und wo reale Zielkonflikte zu lösen sind
Zusammenfassung
Die parallele Förderung von Fernwärme (BEW) und gebäudeindividuellen Lösungen wie Wärmepumpen (BEG) ist kein politischer Widerspruch, sondern Ausdruck einer Übergangsphase der Wärmewende. Beide Programme adressieren unterschiedliche Ebenen desselben Systems. Hier: Großinvestitionen von Versorgern und Kommunen in die Infrastruktur: BEW reduziert Infrastruktur- und Systemrisiken, dort: Investitonen im Rahmen wohnungswirtschaftlicher Praxis: BEG mindert Risiken und ermöglicht Handlungsspielräume des Praxispfades auf Gebäudeebene. Was fehlt? Eine Handlungsoption für die Wohnungswirtschaft als sinnvolle Symbiose aus beidem.
Am Beispiel Hannovers mit der Entscheidung für geschlossene Tiefengeothermie (Eavor-Loop) zeigt sich, dass systemische Lösungen über Versorger und Kommune eine skalierte, CO₂-wirksame Dekarbonisierung ermöglichen – ohne zusätzliche technische Eingriffe in Bestandsgebäuden. Für die Wohnungswirtschaft bietet Fernwärme mit klarer Dekarbonisierungsperspektive erhebliche Vorteile: Planungssicherheit, kalkulierbare Warmmieten, geringere CO₂-Kosten und weniger rechtliche wie kommunikative Konflikte mit Mietern. Aber: die Wohnungswirtschaft muss solche Aktivitäten gleichberechtigt zu den Versorgern auch in eigenen Quartieren umsetzen können und folglich diskriminierungsfreien Zugang zur BEW-Förderung haben.
Ein weiterer Aspekt: pauschal Ausschlüsse der BEG-Förderung in Fernwärme-Planungsgebieten würden Eigentümer vom EFH bis zum MFH in eine riskante Warteposition zwingen. Notwendig ist daher kein „Entweder-oder“, sondern eine intelligente Verzahnung von BEW und BEG entlang realer Entscheidungs-, Haftungs- und Zeithorizonte. Die eigentliche politische Aufgabe liegt in einem konsistenten, aber praxisnahen Ordnungsrahmen – nicht im Gegeneinander-Ausspielen der Förderinstrumente.
Unerschlossene Innenstadtquartiere, Außenbezirke mit heterogenen Eigentümerstrukturen sowie ländliche Strukturen warten auf Antworten. Die Wohnungswirtschaft gehört ins Boot der BEW-Projektmanager als gleichberechtigter Akteur in Augenhöhe zu den Versorgern.
Ausführlich
Ausgangslage: Zwei Förderprogramme, ein Transformationsziel
Mit der Bundesförderung effiziente Wärmenetze (BEW) und der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) verfolgt der Bund ein gemeinsames Ziel: die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung. Die Programme adressieren jedoch unterschiedliche Ebenen desselben Systems.
- BEW setzt an der Infrastruktur an: Wärmeerzeugung, Netze, Speicher, Transformation bestehender Fernwärme.
- BEG adressiert die Gebäudeebene: Heizungstausch, Effizienzmaßnahmen, Technologieoffenheit im Rahmen der Klimaziele.
Dass beide Programme räumlich parallel wirken können – etwa in einem Quartier mit geplantem Fernwärmeausbau –, ist politisch gewollt. Gleichwohl wird genau diese Überlappung zunehmend kritisch diskutiert. Der Vorwurf lautet: Ineffiziente Mittelverwendung, konkurrierende Technologien, Planungsunsicherheit für Versorger.
Diese Kritik greift jedoch zu kurz, wenn sie die strukturellen Unterschiede zwischen Finanzgrundlage, Planung, Bau, Betrieb und Investitionsentscheidungen nicht berücksichtigt.
Der Kernkonflikt: Wärmeplanung vs. Investitionsrealität
Die kommunale Wärmeplanung soll perspektivisch klären, wo Fernwärme sinnvoll ist und wo nicht. Sie ist damit ein strategisches Instrument – kein unmittelbares Vollzugsrecht.
In der Praxis treffen jedoch zwei Ziel- und Zeithorizonte aufeinander:
- Kommunale und versorgerseitige Perspektive
- Netzausbau über 10–20 Jahre
- Hoher Kapitalbedarf, langfristige Amortisation
- Abhängigkeit von Anschlussquoten
- Eigentümer- und Gebäudeperspektive
- Heizungsausfall oder Modernisierungsdruck im Hier und Jetzt
- Förderentscheidungen mit Fristen
- Haftung für Investitionsrisiken
Ein pauschaler Ausschluss der BEG-Förderung in geplanten Fernwärmegebieten würde bedeuten, private Akteure aller Größenordnung (vom EFH bis zum Quartier) zu einer Wartehaltung zu zwingen, ohne dass ihnen ein verbindlicher Anschlusszeitpunkt garantiert wird. Genau hier liegt der rechtliche und politische Konflikt. Wie in einem Brennglas wird dies am Eavor-Loop in Hannover deutlich.
Was ist der Eavorp-Loop? Eine Tiefenbohrung mit Ausbildung kilometerweiter „Heizschlangen“ im unteren Erdreich und deren Umschluss (Loop) tief im Erdinneren (Horizontal- nach Vertikalbohrungen), kapitalintensiv, aber langfristig kosten- und CO2-dämpfend, benötigt kein Thermalwasser

Hannover als Fallbeispiel: Fernwärmesatzung, geschlossene Tiefensysteme und Grundsatzentscheidung
Die strategische Entscheidung
Hannover verfolgt eine klare Fernwärmestrategie ohne wohnungswirtschaftliche Partner wie etwa der Vonovia, die sich am Vorhaben nicht beteiligte.
Diese Entscheidung hat mehrere Konsequenzen:
- Strukturelle CO₂-Reduktion auf Systemebene der Versorger und der Stadt, die dann auch die Preise vorgeben
- Stabile Grundlastfähigkeit unabhängig von Wetter und Strompreisen
- Skaleneffekte durch Einspeisung in das bestehende Fernwärmenetz
Damit unterscheidet sich die Eavor-Loop-Lösung grundlegend von vielen anderen Transformationsoptionen (z. B. gasbasierte KWK mit späterem Brennstoffwechsel).
Außenbezirke und nicht FW-versorgte innerstädtische Eigentümerstrukturen sind nicht einbezogen; deren Langfrist-Perspektive ungelöst, vergleichsweise Förderungen existieren aber. Es ist jedoch hohes Eigen-Engagement der dortigen Zivilgesellschaft vonnöten, die noch keinen Ansprechpartner dafür hat.
CO₂-Perspektive: Systemische statt individuelle Emissionslogik
a) Fernwärme mit geschlossener Tiefengeothermie
CO₂-technisch wirkt die Entscheidung nicht punktuell, sondern multiplikativ:
- Die Emissionsminderung erfolgt zentral, aber verteilt sich auf tausende partizipierende Wohneinheiten.
- Für jedes angeschlossene Gebäude sinkt der spezifische Emissionsfaktor der gelieferten Wärme.
- Aus Sicht der Nutzer wirkt die Investition des Versorgers wie ehemals Investitionen in fossile Produktions-Infrastruktur wie Kohle-, Öl oder Gaskessel, nur wird dieses Mal eine Nullemissions-Energie investiert. Alte Verteilgewohnheiten – neue CO2-neutrale Orientierung und Autarkie von Fremdimporten
- Diese Reduktion wirkt automatisch in der CO₂-Bilanz der Nutzer – unabhängig von deren individuellem Investitionsverhalten.
Wichtig ist: Die CO₂-Reduktion erfolgt ohne zusätzliche technische Eingriffe im Gebäude. Das ist vor allem bei Bestandsgebäuden mit begrenztem Sanierungspotenzial relevant.
b) Vergleich zur dezentralen BEG-geförderten Wärmepumpe
Eine einzelne Wärmepumpe kann ebenfalls sehr niedrige Emissionswerte erreichen – allerdings nur, wenn mehrere Bedingungen erfüllt sind:
- Mindest – Dämmstandard entsprechend Praxispfad
- niedrige Vorlauftemperaturenim Idealfall
- verfügbarer, möglichst günstiger Strom z.B. aus eigener PV-Dachversorgung in Kombination mit Speichertechnologie
- Investitions- und Betriebsrisiko beim Eigentümer, dafür Autarkie und Handlungsfreiheit für eigene Portfolio-Strategien
Die Fernwärmelösung verlagert diese Risiken und Optimierungsaufgaben auf die Systemebene. Aus CO₂-Sicht ist das eine Risikominimierung durch Aggregation.
Die Perspektive der Wohnungswirtschaft: Wärme als Produkt, nicht als Technik
Wohnungsunternehmen nehmen in der Wärmewende eine Doppelrolle ein:
- Sie sind Verteiler und Abnehmer von Wärme
- Sie sind Abrechnungs- und Verantwortungseinheit gegenüber Mietern
Diese Perspektive unterscheidet sich fundamental von der eines Einfamilienhausbesitzers.
Planungssicherheit und Haftung
Für die Wohnungswirtschaft ist entscheidend:
- Eigener, selbstbestimmter Handlungsrahmen: warum nicht auch mit BEW-Inhalten?
- Langfristige Kalkulierbarkeit der Wärmekosten
- Regulatorische Sicherheit (CO₂-Kostenaufteilung, langfristige Sozialverträglichkeit, Mietrecht)
- Minimierung technischer und finanzieller Folgerisiken im Gebäude
Eine zentrale Fernwärmelösung mit sinkendem Emissionsfaktor bietet hier klare Vorteile. Die Wohnungswirtschaft kann hier in eigene BEW-Projekte eigener Nahnetze innerstädtisch bzw. in unversorgten Außenbezirken investieren und Drittinvestitionen aus Straßengemeinschaften lenken:
- Keine Einzelinvestitionen pro Gebäude oder Wohnung
- Keine Haftung für Ausfall, Effizienz oder Strompreisentwicklung
- CO₂-Verbesserung wirkt automatisch in der Betriebskostenabrechnung
Abrechnung gegenüber Mietern
Aus Sicht der Wohnungswirtschaft ist Wärme kein Klimaschutzprojekt, sondern eine abrechenbare Betriebskostenposition.
Fernwärme mit sinkenden CO₂-Faktor und Preisen bedeutet:
- geringere CO₂-Kosten im Rahmen des CO₂-Kostenaufteilungsgesetzes
- bessere Planbarkeit der Warmmieten
- weniger Konfliktpotenzial bei Modernisierungsumlagen
Im Gegensatz dazu führen gebäudeindividuelle Lösungen häufig zu:
- heterogenen Kostenstrukturen im Bestand, Unruhe im Portfolio
- schwer vermittelbaren Investitionen gegenüber Finanzinstituten und Aufsichtsräten
- erhöhtem Kommunikations- und Rechtsaufwand gegenüber Mietern
Förderpolitische Konsequenzen: Kein Entweder-oder, sondern Systemlogik
Die Diskussion um „Doppelförderung“ verkennt, dass BEW und BEG unterschiedliche Risiken adressieren:
- BEW reduziert das Infrastrukturrisiko der Versorger
- BEW rediziert auch dieses Risko der Wohnungswirtschaft, wenn sie sich entsprechend engagiert (was ihr offensteht)
- BEG reduziert das Investitionsrisiko aller Eigentümer (WoWi und privat)
Ein sinnvoller Ordnungsrahmen sollte daher nicht pauschal ausschließen, sondern differenzieren:
- BEG bleibt technologieoffen, solange kein verbindlicher Anschluss besteht
- BEW schafft Planungssicherheit, indem reale Ausbauzeiträume transparent gemacht werden, sollte auch verstärkt der Wohnungswirtswchaft geöffnet werden
- In Gebieten mit tatsächlichem Anschlusszwang verschiebt sich die Förderlogik hin zum Netzanschluss statt zur Einzelanlage
Gerade für die Wohnungswirtschaft ist entscheidend, dass politische Entscheidungen systemisch konsistent, aber operativ realistisch sind.
Fazit: Hannover zeigt die Stärke systemischer Lösungen – nicht deren Widerspruch zur Gebäudeförderung
Der Fall Hannover macht deutlich:
- Die Entscheidung für ein geschlossens System ist CO₂-strategisch sinnvoll, weil sie Emissionsminderung skaliert.
- Für die Wohnungswirtschaft ist Fernwärme mit klarer Dekarbonisierungsperspektive betriebswirtschaftlich und regulatorisch vorteilhaft. Neu: riesige unversorgte „Notstandsgebiete“ (Millionen unerledigter Altkesselfälle und die dahinter stehenden Menschen) können von der professionellen Wohnungswirtschaft selbst mit BEW-Förderungen erschlossen werden
- Die parallele Existenz von BEW und BEG ist kein Fehler, sondern Ausdruck einer Übergangsphase, in der Planung und Realität noch nicht deckungsgleich sind.
Die eigentliche Aufgabe der Politik liegt daher nicht im Kürzen oder Gegeneinander-Ausspielen von Förderprogrammen, sondern in deren intelligenter Verzahnung entlang realer Entscheidungs- und Haftungsebenen.
Mit der Tiefengeothermie werden Quartiere bzw. Fernwärmesysteme versorgt, warum nicht auch neue Nahwärmenetze aller Größenordnungen und Eigentümerstrukturen?