CAPEX, OPEX und die Sanierungsrate im Gebäudesektor

Berlin, 18.12.2025

Zusammenfassung Sanierungsrate im Gebäudesektor – Wege aus dem Vermieter-Mieter-Dilemma

Ausgangslage

Die Debatte um die richtige Sanierungsrate im Gebäudesektor wird häufig technisch geführt (2 % vs. 1 %), ist in ihrem Kern jedoch eine Verteilungs-, Akzeptanz- und Umsetzungsfrage. Beide Pfade – hohe Sanierungsraten oder ein Fokus auf Heizungstausch bei moderater Sanierung – können zur Klimaneutralität beitragen, unterscheiden sich aber fundamental in CAPEX-Belastung, sozialer Wirkung und politischer Tragfähigkeit.

Wer initiiert die Erschließung mit regenerativen Energien? Darstellung CAPEX-Konsequenzen, Quelle: BV Geothermie e.V.

Zentrale Erkenntnisse

  • Hohe Sanierungsraten senken langfristig den Energiebedarf, stabilisieren Werte und entlasten das Energiesystem, erzeugen jedoch hohe Investitionslasten (CAPEX), Baukonflikte und Mietsteigerungsrisiken. Dies wird allerdings von der Wohnungswirtschaft vehement bestritten
  • Niedrige Sanierungsraten mit Heizungstausch-Fokus sind kurzfristig kostenschonender und umsetzbarer, verlagern jedoch Kosten in die Zukunft und in das Energie- bzw. Stromsystem (höhere OPEX bei gleichbleibenden Wärmekosten?).

Kernproblem: Vermieter-Mieter-Dilemma

Der entscheidende Engpass liegt nicht in fehlender Technik, sondern in der fehlenden Verzahnung von Investitionslogik, Wärmeplanung und sozialer Realität:

  • Vermieter tragen hohe CAPEX-Risiken, während Mieter vor allem die Warmmiete interessiert.
  • Politische Instrumente adressieren häufig Klimaziele, aber unzureichend die Liquidität, Refinanzierung und Akzeptanz auf Quartiers- und Gebäudeebene.
  • Die kommunale Wärmeplanung – mit allen Akteuren – wird bislang nicht systematisch mit den volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen CAPEX-Folgen für die Umsetzer (Akteure Wohnungswirtschaft, kommunale Unternehmen) im neuen Gebäude- und Energierecht verzahnt.
  • Die daraus entstehende soziale Frustration ist real und wirkt politisch destabilisierend.

Schlüssel zur Lösung

Ein tragfähiger Transformationspfad erfordert:

  • Differenzierte Quartiers-Finanzbeispiele, die OPEX-Modelle (z. B. Versorger finanziert, Grundpreis bleibt stabil) und CAPEX-Modelle (Vermieter investiert selbst) vergleichbar machen.
  • Entscheidungen auf Basis von TOTEX-Logik statt isolierter Einzelmaßnahmen.
  • Einen Instrumentenmix aus Heizungstausch, gezielter Sanierung, sozialer Absicherung und adaptiver Regulierung.

Fazit

Die Sanierungsdebatte ist keine Entweder-Oder-Frage. Ohne eine ehrliche Auflösung des Vermieter-Mieter-Dilemmas wird weder eine hohe noch eine niedrige Sanierungsrate gesellschaftlich tragfähig sein. Akzeptanz entsteht nur, wenn Klimaschutz, Finanzierungsrealität und Warmmietenstabilität zusammen gedacht werden.


Ausführlich

Argumente, Zielgruppenperspektiven und Kompromisspfade

1. Ausgangslage und Debatte

Die Frage nach der richtigen Sanierungsrate von Gebäuden gehört zu den zentralen Streitpunkten der deutschen Klimapolitik. Während ein Teil der Akteure eine deutlich höhere Sanierungsrate (≥ 2 % pro Jahr) fordert, argumentieren andere, dass eine moderate Rate um ~1 % ausreiche, sofern der Heizungstausch und der Ausbau klimaneutraler Energieträger konsequent vorangetrieben werden.
Die Kontroverse dreht sich weniger um das Ziel Klimaneutralität, sondern um den Weg dorthin, die Kostenverteilung und die soziale Akzeptanz.


2. Argumente beider Seiten

A) Argumente für eine hohe Sanierungsrate (≥ 2 %)

Klimapolitisch / systemisch

  • Reduziert den Energiebedarf dauerhaft und entlastet Strom- und Wärmenetze
  • Wirkt als „Versicherung“, falls Elektrifizierung, Netzausbau oder EE-Ausbau langsamer verlaufen
  • Erleichtert das Erreichen der Zwischenziele (z. B. 2030)
  • Die Punkte 1-3 werden von Anwenderverbänden bestritten

Ökonomisch

  • Senkt langfristig die laufenden Energiekosten
  • Reduziert Importabhängigkeit und Preisschocks
  • Stabilisiert Immobilienwerte und vermeidet „Stranded Assets“
  • Anwenderverbände monieren: das bringt gar nichts!

Sozial / wohnungsbezogen

  • Verbessert Wohnkomfort, Gesundheit, Hitzeschutz und Lärmdämmung (Beweise fehlen)
  • Senkt Heizkosten und damit die Warmmiete auf lange Sicht (Gedankenkonstrukte praxisferner Gestalter)

Strukturell

  • Schafft Planungssicherheit für Bauwirtschaft und Handwerk
  • Fördert Qualifizierung, Innovation und regionale Wertschöpfung

B) Argumente für eine niedrige Sanierungsrate (~ 1 %) mit Fokus auf Heizungstausch

Ökonomisch

  • Deutlich geringerer Investitionsbedarf im Gebäudebestand
  • Vermeidet hohe Vorlaufkosten, Zins- und Baukostenrisiken
  • Gesamtwirtschaftlich weitgehend kostenneutral (Kostenverlagerung ins Energiesystem)

Sozial

  • Reduziert das Risiko von Mieterhöhungen durch Modernisierungsumlagen
  • Weniger Konflikte zwischen Eigentümern und Mietern
  • Geringerer Baustress im bewohnten Bestand

Praktische Umsetzbarkeit

  • Realistischer angesichts Fachkräftemangel und Kapazitätsengpässen
  • Schneller wirksam durch Heizungstausch (Wärmepumpen, Fernwärme)
  • Erlaubt selektive Sanierung nur dort, wo sie technisch zwingend ist

Politisch

  • Potenziell höhere Akzeptanz, da weniger Eingriffe in Bestandswohnungen
  • Flexiblere Steuerung je nach Gebäudetyp und sozialer Lage

3. Zielgruppenspezifische Pro-/Contra-Matrix

Wohnungswirtschaft und Mieter – nebeneinander

ThemaWohnungswirtschaft – hohe Sanierungsrate (≥2%)Wohnungswirtschaft – niedrige Sanierungsrate (~1%) / Fokus HeizungMieter – hohe Sanierungsrate (≥2%)Mieter – niedrige Sanierungsrate (~1%) / Fokus Heizung
Investitionsdruck & LiquiditätContra: sehr hoher CAPEX, Finanzierungs- und ZinsrisikenPro: geringerer CAPEX, bessere PlanbarkeitPro (indirekt): langfristig stabilerer BestandPro: weniger unmittelbarer finanzieller Druck
Mieten / ModernisierungsumlageContra: hohes Konflikt- und RegulierungsrisikoPro: geringere Umlage- und ReputationsrisikenContra: Gefahr steigender KaltmietenPro: geringeres Risiko von Mietsprüngen
Nebenkosten / WarmmietePro: geringerer Energiebedarf, niedrigere BetriebskostenContra: höhere Abhängigkeit von EnergiepreisenPro: deutlich niedrigere HeizkostenContra: Heiz- und Stromkosten bleiben höher
Klimapfad & RobustheitPro: robuste Strategie bei SystemverzögerungenContra: hohe UmsetzungskomplexitätPro: weniger Risiko späterer ZwangsmaßnahmenContra: stärker abhängig vom Energiesystem
Bauablauf & LeerstandContra: lange Bauzeiten, MietausfällePro: kürzere Eingriffe, weniger LeerstandContra: Baustellenbelastung im AlltagPro: weniger Lärm und Einschränkungen
ESG & WerthaltigkeitPro: bessere Energiekennwerte, WertstabilitätContra: Risiko von Abwertung bei zu wenig SanierungPro: bessere WohnqualitätNeutral: kaum Qualitätsgewinne
Netze & SpitzenlastPro: Entlastung von Strom- und WärmenetzenContra: höhere Anschluss- und LeistungsspitzenPro: stabilere VersorgungContra: Systemkosten können weitergegeben werden
Co-BenefitsPro: Komfort, Hitzeschutz, SchadenspräventionContra: hoher Aufwand je zusätzlichem NutzenPro: Gesundheit, BehaglichkeitContra: Nutzen bleibt begrenzt

4. Mögliche Kompromisspfade (2–3 realistische Optionen)

Kompromisspfad 1: „Heizung first + gezielte Sanierung“, ähnlich Praxispfad-Philosophie

  • Priorität auf schnellen Heizungstausch (Wärmepumpen, Fernwärme)
  • Sanierung nur dort, wo sie technisch notwendig ist (z. B. WP-kritische Gebäude)
  • Vermeidet flächendeckenden Sanierungszwang
  • Hohe Akzeptanz bei Wohnungswirtschaft, moderates Risiko für Mieter

Kompromisspfad 2: „Warmmietenneutralität + soziale Zielgenauigkeit“

  • Sanierungen nur, wenn Warmmiete nach Sanierung nicht steigt
  • Starke Förderung für einkommensschwache Haushalte und problematische Gebäude
  • Begrenzung oder Reform der Modernisierungsumlage
  • Kombiniert Effizienzgewinne mit sozialer Absicherung

Kompromisspfad 3: „Dynamischer Pfad mit Review-Mechanismus“

  • Start mit moderater Sanierungsrate (~1–1,5 %)
  • Regelmäßige Überprüfung: Strompreise, Netzausbau, Wärmepumpen-Rollout
  • Automatisches Nachschärfen der Sanierungsanforderungen bei Systemstress
  • Politisch flexibel und anpassungsfähig

5. Schlussbemerkung Vermieter-Mieter-Dilemma

Die Debatte um die Sanierungsrate ist weniger eine Frage von „richtig oder falsch“ als von Risikoverteilung, sozialer Fairness und Umsetzbarkeit.
Ein tragfähiger Weg zur Klimaneutralität im Gebäudesektor wird nicht eindimensional sein, sondern eine kluge Kombination aus Heizungstausch, gezielter Sanierung, sozialer Absicherung und systemischer Flexibilität benötigen.

Die kommunale Wärmeplanung muss mit den volkswirtschaftlichen CAPEX-Aspekten aus Sicht der betroffenen „Umsetzer“ im neuen GMG verzahnt werden. Hier ist das Herzstück des Vermieter-Mieter-Dilemmas und eine Quelle großer Unzufriedenheit in der Bevölkerung, die sich in der Zuwendung zu demokratiefernen Parteien spiegelt.

Repräsentative Quartier-Finanzbeispiele müssen nach OPEX-Kriterien (Versorger finanziert alles, Vermieter empfängt neuen Grundpreis wie eh und je) und CAPEX-Konsequenzen (Vermieter finanziert selbst) differenziert und evaluiert werden, damit ein volkswirtschaftlich akzeptables Vorgehen abgestimmt werden kann.